Forschung am Menschen ohne deren Wissen: Universität Zürich und Reddit «r/ChangeMyView»

Scrabble-Plättchen, die "Say Sorry" schreiben

Wie DNIP.ch am Montag als erstes Medium berichtete, hat eine Forschungsgruppe mit Anbindung zur Universität Zürich mittels KI psychologische Forschung an Menschen durchgeführt, ohne dass diese Menschen über die Studie informiert waren. Aus guten Gründen (Vertrauen, Ethik, …) ist das in den meisten Fällen ein No-Go.

Was ist da passiert?

Forscher:in(nen) der Uni Zürich haben zwischen November 2024 und März 2025 ein Diskussionsforum («Subreddit») der Plattform «Reddit» für eine Studie genutzt. Dabei waren – laut den vorliegenden Informationen – weder die Diskutant:innen im Forum selbst, noch die Moderatoren des Forums informiert. Und die Forschungsgruppe setzte sich über die Hinweise der zuständigen Ethikkommission sowie der Regeln der Plattform und des Forums hinweg.

In der Studie – laut Angaben aus der Konferenzeinreichung, die inzwischen nicht mehr öffentlich ist – im ChangeMyView-Forum auf Reddit hat die Gruppe einen Mix aus KIs angewiesen, über 1000 Posts zu schreiben, welche Menschen in ihrer Meinung umstimmen sollten.

Die KIs waren drei bis sechs Mal so erfolgreich wie Menschen, die Frager umzustimmen und damit besser als 99 % der Menschen. (Mehr zur Studie im DNIP-Artikel vom Montag.)

Die Forschenden, die anonym auftraten, haben Anfang Woche aufgehört, auf Mailanfragen zu reagieren. Dank Recherchen eines DNIP-Teams hatten wir Kontakt zu einer der Personen aus der Forschungsgruppe. Dank weiteren Recherchen und Hinweisen aus der Community sind wir auch ziemlich sicher, die zweite Person identifiziert zu haben. Insbesondere diese zweite Person hätte Verantwortung übernehmen müssen, was sie aber scheinbar nicht tat.

Hintergründe und weitere Informationen

Die volle Geschichte findet sich in folgenden zwei Artikeln:

Ich finde, die Aussage der Politikwissenschafterin Katika Kühnreich fasst die Situation sehr gut zusammen:

Es tönt, als hätte die Ethikkommission die Verantwortung nicht tragen wollen & die Forschenden bewiesen mit ihrem Vorgehen, dass sie die Verantwortung nicht tragen können.

[Es braucht] Mehr Wissen, was Ethik bedeutet, statt Ethikkommissionen, die entweder nicht kompetent sind oder nicht unbeliebt sein wollen.

Katika Kühnreich im Fediverse

Empfehlungen

Zum Selbstverständnis von DNIP gehört, nicht nur Fehler aufzeigen, sondern auch Wege zur Verbesserung der Situation aufzuzeigen.

  1. Die Universität Zürich sowie die verantwortlichen Forscher:innen sollten sich zur Situation äussern.
  2. Sollten sich der oder die betreffenden Forscher:innen raschmöglichst öffentlich melden und entschuldigen, wie dies kolportiert wird.
    (Übrigens: Wenn Forschungsverantwortliche glauben, sie müssten ihre Identität auch nach Ende der eines spezifischen Forschungsprojekts noch geheim halten, hätten sie sich vielleicht vor Forschungsbeginn mehr Gedanken dazu machen sollen.)
  3. Sollten auch in der Schweiz klare Regeln für den Umgang der Forschung mit Plattformen geschaffen werden. Das wäre zum Beispiel ein wichtiger Punkt in einer Plattformregulierung, wie sie der Bundesrat ohne Not hinauszögert. Der Digital Services Act der EU verlangt beispielsweise solchen Zugang für unabhängige Forschende. Dass die Plattformen «gegatekeeped» werden von Big Tech-Konzernen und wenig Schnittstellen bieten, ist ein grosses Problem für die Forschung rund um Online-Diskussionen, Desinformation und Hassrede. Eine Öffnung ist sehr relevant, aber eben nach Einhaltung von verbindlichen ethischen Regeln.
  4. Sollte die Ethikpraxis wirklich verbindlicher ausgestaltet werden bei der Universität Zürich, so wie dies die Medienstelle in Aussicht gestellt hat. Die Institutional Review Boards (Ethikkommissionen) sind allgemein nicht auf der Höhe der Zeit, was digitale Forschung angeht (für analoge und physische Forschung «am Mensch» gelten strikte Ethikregeln).
  5. Sollte die Schweiz bald verbindliche Transparenzvorschriften für den Einsatz von generativer KI für Gesellschaft und Wissenschaft einführen, analog zum AI Act der EU.

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