Neuralink ist (noch) keine Schlagzeile wert

Symbolbild: Ein menschliches Gehirn, welches drahtlos mit einem Computer verbunden ist

Diese Woche haben einige kurze Tweets von Elon Musk hunderte oder gar tausende von Artikeln ausgelöst. Wieso?

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien „versteckt“ als eine Art Bonus Track in der heutigen DNIP-Ausgabe von „Marcel pendelt„.

Ok, ich sehe, ihr wollt also unbedingt doch noch etwas über das Clickbait-Wort der Woche hören. Beginnen wir mit etwas Kontext:

Elon Musk

Elon Musk, nach einigen Definitionen der reichste Mann der Welt, rutscht in dieser Rangliste ab: Denn er soll, nach dem (noch nicht rechtskräftigen) Urteil Tesla-Aktienoptionen im Wert von 56 Milliarden US$ zurückgeben. Begründung: Die Aktionäre seien sowohl über die angebliche Unabhängigkeit des Verwaltungsrats als auch über die angeblichen Vergütungsverhandlungen in die Irre geführt worden. Das Paket sei nicht nur 33 Mal höher als jedes jemals zuvor vergebene Paket (das Vorläuferpaket, ebenfalls an Musk), es sei auch 250 Mal höher als der Mittelwert vergleichbarer CEOs. Und das bei niedrigen Zielen und keinen Verpflichtungen für Musk, der diese Freiheiten dann auch nutzte, um ab 2022 vor allem seinem Hobby Twitter zu frönen.

Auch sonst ist sein Bezug zu Fakten, sagen wir, leger. Einige Beispiele, die mutmasslich oder bestätigt falsch waren: «Funding secured» um Tesla 2018 von der Börse zu nehmen; die seit 2015 regelmässig wiederholten Ankündigen, dass Teslas „demnächst“ vollautomatisch fahren würden und das „Beweisvideo“; dass mutmasslich bei der gross angelegten Präsentation «now that’s all solar» auf den Dächern keine einzige Solarzelle echt war; dass die Tesla-Solar-Zahlen aufwärts zeigen würden; dass Hyperloop den Verkehr revolutionieren werde; dass Bots das eigentliche Problem bei Twitter seien; eine Aussage aus 2011, dass allerspätestens in 10-20 Jahren ein Mensch auf dem Mars sein werde (2020 hat er die Prognose auf «spätestens 2026» „präzisiert“) und dass der Mars dazu durch ein paar Atombomben bewohnbar gemacht werden könne. Ebenso scheint es, dass der, dass der humanoide Tesla-Roboter Optimus einfach 1:1 durch einen Menschen ferngesteuert wird, eine Technik die seit 1769 mechanisch und ca. 1960 auch elektrisch und aufgezeichnet funktioniert.

Neuralink

Was hat das mit Neuralink zu tun?

Auch bei Neuralink wird Transparenz (und damit Nachvollziehbarkeit von Aussagen) nicht wirklich gross geschrieben. So wurde seit 2019 immer wieder erwähnt, dass man „bald“ an Menschen experimentieren würde, obwohl die Zulassung erst im Mai 2023 erfolgt. Auch nachdem Verdachtsmomente auftauchten, dass gegen das Tierschutzgesetz verstossen worden sei, wurde mit allen Mitteln versucht, die Herausgabe von Dokumenten zu verhindern, auch aus Konkurrenzgründen und weil die Öffentlichkeit negativ auf Informationen zu den Affenexperimenten reagieren könnte.

Ob dieser Geheimniskrämerei und lockeren Umgang mit Fakten sowohl von Neuralink als auch Musk erstaunt es, dass Medien auf der ganzen Welt die Tweets von Musk ohne weitere Überprüfung übernehmen (und deshalb wollte ich ursprünglich auch hierzu nichts sagen). Als eine der wenigen stichelt die New York Times kritisch in ihrer Schlagzeile «Neuralink Implanted a Device in a Patient’s Brain, Elon Musk Says» (Hervorhebung von mir) und stellt die Aussage damit auf das Niveau des Hörensagens. Auch mehrere Tage später sagt das Neuralink-Blog immer noch nichts über diese angebliche Revolution.

«Extraordinary claims require extraordinary evidence» („ausserordentliche Behauptungen benötigen ausserordentliche Belege“) bemerkte schon Carl Sagan. Dies fehlt hier. Weder in den Tierversuchen noch in dem angeblichen menschlichen Implantat wurde bisher etwas erreicht, was nicht teilweise schon vor 20 Jahren an Menschen erreicht wurde. Auch die Funkverbindung ist nicht neu, bei Cochlea-Implantaten ist das Standard (wenn auch mit niedrigeren Datenraten). Der grösste Unterschied scheint die deutlich aktivere PR zu sein.

Die Menschen

Menschen, die infolge ALS oder Schlaganfall wichtige Gehirnfunktionen verloren haben, setzen verständlicherweise oft alles daran, dass sie diese Funktionen zurück erlangen können. Sie greifen nach jedem Strohhalm. Wenn sie dann die dazu benötigten Geräte aus Armut oder wirtschaftlichen Überlegungen des Herstellers irgendwann nicht mehr nutzen können, ist es für die betroffene Person doppelt schlimm.

Ich hoffe, dass diese Person, von der Musk berichtet, ihre Operation gut übersteht und sich ihr Leben auf lange Sicht verbessert. Aber ich denke, dass die Schlagzeilen bis dann warten sollten. Alles andere ist nur PR, kein Journalismus.

Künstliche Intelligenz

(Neuralink ist nur insofern KI, als dass wohl KI-Techniken zum Auswerten der Gehirnsignale genutzt werden.)

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