Ihren NFT-Selbstversuch schliesst Susanna Petrin mit einer Vision des Lebens nach der Zerstörung unserer Welt: Im Metaversum unsere NFTs bewundernd. Ich hoffe, dass wir beides abwenden können.
Hiervon gibt es auch eine (leicht erweiterte) englische Version 🇬🇧; weitere Einblicke in das Blockchain-Umfeld gibt es hier.
1. Abwenden der Zerstörung unserer Welt
An der Vermeidung davon müssen wir an ganz vielen Fronten arbeiten. Manche Massnahmen haben einen grossen Anteil, manche einen kleinen. Orthogonal dazu verlangen uns viele ein grosses Opfer ab, andere dagegen nicht.
Die den NFTs unterliegenden Kryptowährungen verursachen Energiekosten von Abermillionen Franken am Tag. Trotzdem würde ihre Elimination im globalen Vergleich nur eine eher kleine Wirkung erzielen. Aber als Gesellschaft müssten wir meiner Meinung nach kaum Opfer bringen, im Gegenteil: Wenn wir neben der Ökologie noch das Leid der zwangsläufigen Verlierer berücksichtigen, wäre die Elimination von Kryptoassets sogar ein Segen.
2. Abwenden von NFTs
NFTs haben keinen realen Wert, werden aber so vermarktet, besonders an Leute, die sich solch hochriskanten Geschäfte eigentlich nicht leisten sollten. Wieso? Weil NFTs meist falsch verstanden werden:
- Die digitale Revolution basiert auf der grossartigen Eigenschaft, dass die Bits jedes digitalen Mediums (Text, Stand-/Bewegtbild, Töne, …) beliebig kopiert werden können. Jede „normale“ Wiedergabe eines digitalen Mediums (von Server über Internet und den eigenen Rechner bis zum Ausgabegerät) nutzt diese Eigenschaft dutzende bis hunderte Male; auf dieser Ebene gibt es keinen Unterschied zwischen „guter“ (notwendiger) und „böser“ (missbräuchlicher) Kopie. Damit ist jede Kopie identisch und auch das Original unterscheidet sich nicht von seinen Kopien. (Im Übrigen ist auch die Kopie, die als „Original“ bezeichnet oder gehandelt wird, schon viele Kopier-Generationen vom ersten Bitmuster entfernt, aber immer noch identisch.) [Dieser Punkt wurde 2022-06-20 hinzugefügt, um notwendigen Kontext zu geben.]
- Das digitale „Echtheitszertifikat“ ist keines und damit auch nicht besser als eines aus Papier. Zusätzlich sind sie als «Smart Contract» ausgestaltet, die häufig irreparable Fehler beinhalten bzw. zumindest teilweise mit den Urheberrechtsgesetzen kollidieren.
- Der NFT zeigt nicht auf ein Kunstwerk, sondern nur auf eine URL, deren Inhalt beliebig geändert werden kann. Ebenfalls kann das Bild an der URL (aus technischer Sicht) beliebig kopiert werden.
- Junge Künstler:innen können auch ohne NFT oder Blockchain sichtbar werden. Dazu reicht eine Webseite.
- Die Sichtbarkeit entsteht nicht durch die NFT-Technik sondern durch Hype, PR und Promis.
- Die angeblich hohen Preise entstehen durch wenige, die mit ihren Kryptoassets nichts anderes anfangen können (siehe weiter unten) bzw. durch «Wash Trades» (Verkäufe an sich selbst, um einen scheinbar höheren Wert vorzuspiegeln).
In Kryptowährungen fehlen funktionierende Geldkreisläufe. Wenn eine Firma ihre Mitarbeiter mit Kryptoassets zahlen würde, könnten diese keine lebensnotwendigen Produkte kaufen, deren Produzenten wiederum in Kryptoassets bezahlt werden würden, die damit wiederum lebensnotwendige …; sie verstehen das Problem.
Gleichzeitig werden (1) täglich zusätzliche Kryptoassets in Millionenhöhe aus dem Nichts geschöpft und (2) fallen horrende Stromkosten an. Aufgrund des fehlenden Kreislaufs haben wir Abflüsse von klassischen Währungen:
- Die ganz wenigen Leute, die wirklich ein Vermögen gemacht haben, möchten sich Güter des täglichen Bedarfs oder Luxus kaufen. Beides ist in Kryptowährungen kaum möglich.
- Die horrenden Stromkosten müssen, ebenfalls wegen des fehlenden Kreislaufs, umgetauscht werden.
Auch die angeblich hohe Marktkapitalisierung der Kryptowährungen ist die Bits nicht wert, auf der sie gespeichert ist.
Dollar etc. können aber nicht in beliebiger Menge aus dem Krypto-Umfeld abfliessen ohne dass neue hinzukommen. Woher kommen die?
Meiner Ansicht nach ist ein wichtiger Grund für den Hype um NFT und Web3, neues Geld in dieses angebliche (da nicht funktionsfähige) Wirtschaftssystem zu bringen. Nur so können die Früheinsteiger und Platzhirsche ihre Gewinne jetzt auch realisieren. Ein Einstieg jetzt ist sehr riskant, denn analog zu einem Schneeballsystem beissen den letzten die Hunde. (Wie David Gerard so schön sagt: Krypto ist kein Schneeballsystem — es funktioniert nur wie eines.)
Leseempfehlung
Dieses Kapitel wurde 2022-06-18 hinzugefügt.
(Neben meinen weiteren Artikeln im Themengebiet…)
- Amy Castor: „ A16z’s ‘State of Crypto’ report: A rehash of bad crypto market pitches„, 2022-05-19.
Wie Risikokapitalgeber an Krypto verdienen. - Web2 Boomer (pseudonym): „The Technical Problem With NFTs: 5 shortcomings you should know„, Better Programming, 2022-05-26.
Fünf Irrtümer über NFT. - Jörg Heiser: „Das Ding-Dong-Happy-Happy-Produkt„, Republik, 2022-06-09.
Teil 1 seiner NFT-Artikel. - Jörg Heiser: „Von der Tulpenzwiebel zur Datei„, Republik, 2022-06-10.
Teil 2 seiner NFT-Artikel. - Robert McCauley: „Why bitcoin is worse than a Madoff-style Ponzi scheme„, Financial Times, 2021-12-22.
Geldabfluss für Energie macht Kryptoassets zu einem „Negativsummenspiel“; schlimmer als Schneeballsysteme, welche ein Nullsummenspiel sind. - Sal Bayat: „The strange case of Nakamotos Bitcoin – Part 1„, 2022-06-08.
Wenn Bitcoin als das perfekte Betrugsschema entworfen worden wäre, sähe es wohl ziemlich genau so aus, wie es aktuell ist. [Ich persönlich glaube nicht, dass das Absicht war, aber auch schon dieser Zufallstreffer ist beeindruckend.] - Miles Carlsten, Harry Kalodner, S. Matthew Weinberg, and Arvind Narayanan: „On the Instability of Bitcoin Without the Block Reward„, ACM CCS 2016.
Wenn Transaktionsgebühren relevant werden (im Gegensatz zu den Block Rewards, welche aktuell 99% der Einnahmen der Miner ausmachen), wird es immer attraktiver, die Blockchain zu verzweigen als den längsten Zweig geradlinig weiterzuführen.
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