Was ist eigentlich ein NFT?

Ein blockiger Affe als schwachen Versuch, ein Affen-NFT nachzuahmen

„NFT“ ist zur Zeit wieder in aller Munde, nicht nur wegen der Pro Senectute. Was steckt aber eigentlich hinter den vollmundigen Versprechungen der NFT-Befürworter?

Weitere Einblicke zu NFTs und dem gesamten Blockchain-Ökosystem finden Sie hier. Diesen Artikel gibt es auch auf Englisch 🇬🇧: «What is an NFT, behind the scenes?».

„NFT“ steht für „Non-Fungible Token“, in etwa eine „nicht austauschbare Wertmarke“. Das „nicht austauschbar“ dient der Unterscheidung zu den „normalen“, austauschbaren Wertmarken wie beispielsweise digitalen Münzen: Jeder digitale Fünfliber kann durch jeden anderen digitalen Fünfliber ausgetauscht werden und keiner wird es merken.

Diese NFTs wird von Einigen als die Zukunft der digitalen Kunst vermarktet (und für vieles andere mehr). Dazu wird auf der Blockchain ein Programm gespeichert, ein sogenannter „Smart Contract“, über den diese Kunstwerke gehandelt werden können. Diese Handänderungen und die dafür geleisteten Zahlungen werden auch wieder in der Blockchain gespeichert. Interessanterweise ist das Kunstwerk selbst aber nicht in der Blockchain, sondern nur die URL (Webadresse) ist im Smart Contract gespeichert.

Damit ist ein Kunst-NFT und sein Smart Contract:

  • Öffentlich: Ein öffentlicher, für jedermann nutzbaren, ganz normaler Weblink (URL) auf eine jederzeit beliebig austauschbare Computerdatei eines Kunstwerks.
  • Ewig: Das NFT wird durch einen öffentlichen „digitalen Vertrag“ („Smart Contract“) verwaltet. Diese Smart Contracts und jede zugehörige Transaktionen werden aufwändig (und im Widerspruch zu Ideen von Privatsphäre) „auf ewig“ öffentlich und praktisch unveränderbar in einer Blockchain aufbewahrt. (Das alleine reicht aber noch nicht, damit sie auch ewig ihre Funktion behalten.)
  • Programm: Dieser Smart Contract ist ein Stück kryptischer Programmcode, den häufig nicht einmal seine Entwickler richtig verstehen, geschweige denn seine Folgen abschätzen können. (Erstens: Jeder ausgeführte Programmbefehl und jede verwendete Variable kosten bares Geld, was aus Kostengründen u.a. zu unverständlichem Code führt. Zweitens: Auf der Blockchain können viele Operationen quasi gleichzeitig ausgeführt werden. Programme kommen dabei leicht durcheinander, nicht unähnlich einem Kellner, wenn eine grosse Gruppe an einem Tisch gleichzeitig zahlen will und alle chaotisch durcheinander reden und jeder als erster zahlen und keiner auf den anderen warten will.)

Dem NFT (und dem darunterliegende Smart Contract) fehlen hingegen (manchmal oder aber immer):

  • Nutzungsrecht: Am NFT bzw. seinem Smart Contract hängt ein oft nicht genau bestimmtes Nutzungsrecht.
  • Hürde: Der Vertrag stellt aber keine technische Hürde dar, das Kunstwerk einzusehen oder auch herunterzuladen. Im Gegenteil, er weist jeden Nutzer der Blockchain darauf hin, wo das Kunstwerk heruntergeladen werden kann.
  • Vertrauenswürdigkeit: Einige dieser Smart Contracts verrechnen „einfach“ eine Gebühr bei ihrem Wiederverkauf (oft nicht deutlich deklariert); andere sind aktiv bösartig (z.B. klauen sie Krypto-Geld oder NFTs), etliche sind fehlerhaft und können von Hackern missbraucht werden. Und das alles, ohne dass man es ihnen ansieht.
  • Korrigierbarkeit: Viele Smart Contracts bieten keine Möglichkeit für ein Softwareupdate, welches Fehler oder Sicherheitslücken korrigieren könnte. Dies, weil diese Updatemöglichkeit auch wieder missbraucht werden kann (und auch schon wurde).
  • Kulanz: Gegen fehlerhafte oder bösartige Smart Contracts ist kein Kraut gewachsen. Auch nicht gegen einfache Tippfehler beim Transfer. Es gibt keine Rekursmöglichkeit, der Geschädigte kann auch kein Gericht anrufen. Die Hoffnung auf eine Grosszügigkeit der Gegenpartei ist ebenfalls prinzipiell unmöglich: Das Smart Contract-Programm, einmal gestartet, handelt völlig stur und autonom und lässt sich von nichts und niemandem beeinflussen („Code is Law“: Der Programmcode ist das alleinig gültige, erst- und letztinstanzliche Gesetz).
  • Vertrag: Wahrscheinlich entspricht dieser „digitale Vertrag“ nicht einmal dem, was das Obligationenrecht unter einem Vertrag versteht, da eine Zustimmung zu einem solch unverständlichen Konstrukt nicht als Willensäusserung gesehen werden kann. Im Falle einer (bei Smart Contracts einfach möglichen) Täuschung fehlt auch die zwingende Möglichkeit zur nachträglichen Korrektur, beispielsweise durch Aufhebung oder Berichtigung des Vertrags.
  • Eindeutigkeit: Die angebliche Eindeutigkeit der NFTs ist eine Illusion. Ebenso ist ohne zusätzliche, z.T. aufwändige Recherche nicht nachprüfbar, ob der Ersteller des NFTs auch der Inhaber des Urheber- oder Nutzungsrechts am Kunstwerk ist. (Anders gesagt: Die Tatsache, dass etwas als NFT verkauft wird, sagt noch nichts über seine Echtheit aus bzw. ob es kopiert/gefälscht ist.)
  • Kostenlosigkeit: Transaktionen rund um Smart Contracts (auch schon alleine das Verschieben von der linken in die rechte Hosentasche des Besitzers) kostet Geld, genauer gesagt, „Kryptowährungen“. Diese sind keine Währungen im klassischen Sinne, da ihnen sowohl der funktionierende Geldkreislauf als auch die notwendige Stabilität fehlt.
  • Wert: Den Wert von Kunst zuverlässig und objektiv zu quantifizieren ist bereits ein Ding der Unmöglichkeit. Noch schwieriger wird es, wenn der Massstab dafür, die Kryptowährung, selbst hochspekulativ ist und quasi nur durch ein Schneeballsystem am Leben erhalten werden kann.
  • Einfachheit und Demokratie: Diese Blockchain wurde 2008 geschaffen als Gegenreaktion zu einem von wenigen Leuten dominierten Wirtschaftssystem, welches von Gier, Ineffizienz, Intransparenz und übermässiger Komplexität geprägt sei. Das durch die Blockchains geschaffene Wirtschaftssystem ist aber vollständig durchsetzt von geballter Gier, Ineffizienz, Intransparenz und unnötiger Komplexität. Und, trotz der regelmässig wiederholten Versprechen von Fairness und Demokratisierung durch die Blockchain steht die dahinterliegende Finanzmacht in der Hand von ganz wenigen Leuten mit zum Teil sehr seltsamen Vorstellungen von der Gesellschaft, in der wir alle leben sollten.

Kurz: Es wird ein sehr komplexes, undurchsichtiges und unklares System ohne Möglichkeit für Rekurs oder Gnade aufgebaut, welches unsere Rechte nach Privatsphäre mit Füssen tritt und — allen Beteuerungen von Fairness und Verteilung zum Trotz — eigentlich nur einigen wenigen (Neu-)Reichen zugute kommt.

Haltlose Versprechen

Tante (aka Jürgen Geuter) hat sich kürzlich die Versprechen der NFT-Vertreter unter die Lupe genommen. Seine Erkenntnis:

Der Einsatz von NFTs ändert grundsätzlich nichts am oft unfairen Zugang zum Publikum, an der oft unfairen Bezahlung und am oft schwierigen Zugang zu Vorab-Investitionen. Es ist auch kein Schritt in eine völlig neue Kunstkultur oder Kunstfinanzierungskultur. (Oder, im Falle von Pro Senectute, der Spendenkultur.)

Alleine auf einen kurzfristigen Hype aufzuspringen, der einfach eine Abstraktions- und Komplexitätsschicht auf bestehende Möglichkeiten packt, bringt nicht die nachhaltige Änderung, die in unserer Gesellschaft nötig ist. Im Gegenteil, sie verstärkt eher Fehlanreize für unfaire Machtstrukturen.

Somit sind sie nicht nur ohne Nutzen, sondern meiner Ansicht nach langfristig sogar schädlich für die Gesellschaft.

Unterstützen wir — angelehnt an den Schlusssatz von tante — doch einfach Künstler und Organisationen die uns etwas bedeuten, direkt und ohne teure, komplexe und intransparente Intermediäre. Bankverbindungen finden sich auf fast jeder Webseite.

Literatur

[Neu 2024-01-16]

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