Chatkontrolle, die Schweiz und unsere Freiheit


In der EU wird seit vergangenem Mittwoch wieder über die sogenannte «Chatkontrolle» verhandelt. Worum geht es da? Und welche Auswirkungen hat das auf die Schweiz?

Gestern und heute erschienen bei DNIP zwei Artikel, die ich hier zusammenfasse: Erstens «Chatkontrolle: Es geht weiter», welches einen Überblick über die Entwicklungen sowie eine historische Einordnung bietet, aber auch aufzeigt, wieso es eine schlechte Idee ist und was man stattdessen tun sollte.

Den zweiten Artikel, «Depeschen aus der Zukunft: Rückblick auf das erste Jahr Chatkontrolle», lege ich all‘ jenen besonders ans Herzen, welche einen etwas leichteren Einstieg in die Materie wünschen. Oder einen Artikel, den man mit Freunden und Familie teilen kann. Ein unterhaltsamer, fiktiver Blick, wie das erste Jahr nach Einführung der Chatkontrolle ablaufen könnte. Mit durchaus wahrscheinlichen Pressemitteilungen und Artikeln. Unterhaltsam und lehrreich zugleich, dank Jeremiah Lee.

Das Ziel

Das Ziel ist eigentlich ehrenwert: Kinder sollen offline und online besser geschützt werden. Dazu sollten, so die ursprüngliche Forderung, alle Anbieter von Kommunikationskanäle dazu verpflichtet werden, ihre gesamten Inhalte auf potenziell kinderausbeuterisches Material zu überprüfen:

Ob da Bilder von sexuell ausgebeuteten Kindern dabei seien oder ob sich irgendwelche alten Säcke an Unschuldige heran machen würden.

Diese Chatkontrolle sollte auf allen Kanälen erfolgen:

  • Emails
  • Posts und Direktnachrichten in sozialen Netzwerken
  • Chats in Onlinespielen
  • Instant Messengern wie den Facebook Messenger, WhatsApp, Signal, Threema, Telegram

Die Schwierigkeit

Während die Anbieter von ersteren Diensten oft den Klartext der Nachrichten sowieso zu sehen bekommen, ist dies bei Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messengern schwierig. Und da liegt der Knackpunkt.

Denn: Es gibt gute Gründe, Ende-zu-Ende-verschlüsselt zu kommunizieren.

  1. Persönliche Nachrichten im Familienkreis gehen niemanden etwas an. Punkt.
  2. Firmeninternas, die ich mit Arbeitskolleg:innen tausche, ausserhalb der Firma auch nicht
  3. Aber auch der Anbieter hat Vorteile: Falls doch einmal Sicherheitslücke passieren sollte oder Hacker in das System eindringen: Es können keine Daten gestohlen werden.

Win-win, eigentlich..

Die Schweiz, eine Insel? Nein.

Auch wenn die EU-Regelung zur Chatkontrolle nicht direkt auf die Schweiz anwendbar ist, sie wird viele Schweizer Kommunikationsbeziehungen betreffen.

  1. Überwachungsfreundliche Kreise der Schweiz werden sowieso auf eine rasche Übernahme der EU-Regelung pochen.
  2. Viele Online-Anbieter wie Meta mit WhatsApp oder Google inklusive YouTube machen sich nicht den Aufwand, zwischen EU und Schweiz zu trennen

Deshalb sollte auch die offizielle Schweiz aktiv werden.

Nicht ganz so unneigennützig

Die Geschichte der Chatkontrolle ist auch fest an die angeblich wohltätige Kinderschutzorganisation «Thorn» von Ashton Kutcher gebunden. Dieser traf sich mindestens ein Dutzend Mal mit Ylva Johansson & Co.

Neben dem Kinderschutz geht es da aber auch um knallharte Finanzinteressen: Diese Startup-ähnliche Organisation verkauft nämlich Software, mit der genau das gemacht werden kann, was die Chatkontrolle fordert. So ein Gesetz wäre eine Goldgrube. Ein Vorgehen, das als Regulatory Capture bekannt ist.

Die Folgen

Die Chatkontrolle würde also die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung insofern unterminieren, dass jedes Bild oder Video (früher auch Text) gegen eine geheime Datenbank von Bildern abgeglichen werden würde. Allfällige Verstösse würden direkt der Polizei gemeldet.

Was in dieser Datenbank drin steht, das wird niemand genau prüfen können, bietet also Missbrauchspotenzial. Und auch wenn alles sauber ist: Falsche Verdächtigungen haben z.T. desaströse Folgen.

Deshalb haben Sicherheitsforscher:innen aus der ganzen Welt (und auch die Schweiz steht dort weit oben) gefordert, den ganzen „Chabis“ abzublasen. Weil es technisch heute nicht umsetzbar ist. Und wahrscheinlich auch in 20 Jahren noch nicht.

Aber auf Experten hört heute ja leider niemand mehr. Und schon gar nicht bei der Chatkontrolle.

Etwas, das beim Thema Chatkontrolle häufig untergeht: Damit soll auch eine universelle Altersüberprüfung eingeführt werden. Für alle Kommunikationsformen.

Doch Altersverifikation funktioniert nicht ohne Identifikation, also der Präsentation eines offiziellen Dokuments und damit einer Ausweispflicht. Und damit fallen bei allen, auch Feld-Wald-Wiesen-Dienstleistern höchst sensible Daten an.

Schlechte Idee auch hier.

Auch dass jetzt ausgerechnet Ungarn die Chatkontrolle nochmals pushen will, grenzt schon fast an Ironie: Dasjenige EU-Land, welches alles versucht, Pressefreiheit, Transparenz und Kritik an der Regierung Orbán möglichst einzuschränken.

Da käme ein Gesetz, welches Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufweicht, doch gerade recht. Und sei es nur als ersten Schritt.

(Übrigens: Die von autoritären Staaten gepushte Cybercrime Convention der UNO hat ähnliche Probleme.)

Was dann?

«Aber wir können doch nicht einfach hilflos zusehen!» Genau. Aber für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache, billige und schnelle Lösung, die aber falsch ist.

Genau das ist auch die Chatkontrolle. Also müssen wir die harte Arbeit tun (Ausführlicheres dazu bei Patrick Breyer):

  1. Kapazitäten bei der Strafverfolgung optimieren
  2. Ursachen bekämpfen, nicht Symptome
  3. Hilfe für Opfer, auch potenzielle
  4. Verbesserung der Medienkompetenz (auch wegen KI und DeepFakes)

Verplempern wir also nicht die Zeit!

Leichtere Kost

Ich weiss, das ist alles etwas schwer verdaulich. Deshalb hat Jeremiah Lee die Chatkontrolle mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet:

Er hat aus fiktiven Agenturberichten, Pressemitteilungen und Zeitungsmeldungen die Geschichte des ersten Jahres nach der Einführung der Chatkontrolle beleuchtet. Wie könnte unsere Zukunft aussehen, wenn sie so umgesetzt würde?

Viel unterhaltsamer, aber auch sehr informativ.

Die deutsche Übersetzung gibt es ab heute bei DNIP. Viel Spass damit!

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