IT-Sicherheit ≠ Bürostuhl


Der Bund hat am 17. Juli 2023 einen Brief an seine Informatikdienstleister verschickt. Die Forderungen reichen von selbstverständlich bis fragwürdig. Wir haben sie aus IT-Sicherheitssicht analysiert und mit Hinweisen für alle IT-Verantwortlichen versehen, egal ob öffentliche Hand oder Privatwirtschaft.

Dies ist eine Kompaktversion meines DNIP-Artikels zum Thema.

IT-Sicherheit geht alle an

Die allermeisten heutigen Unternehmen sind von einer funktionierenden Informatikinfrastruktur abhängig. Manche sind sich das sehr bewusst; andere merken es erst, wenn Teile ihrer IT crasht, gehackt wurde, Geschäfts- und Personaldaten im Darknet auftauchen oder wenn ein Wassereinbruch bzw. Feuer die Rechner und Festplatten zerstört hat.

Für IT-Sicherheit gibt es keine 0815-Lösung

Deshalb muss sie immer auf die spezifischen Bedürfnisse der Organisation zugeschnitten sein. Sie kann auch nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss von allen gelebt werden, wenn sie wirkungsvoll sein soll. Sicherheit ist auch hier nur so stark wie das schwächste Glied; und das ist jenes, das man nicht in die Betrachtungen einbezogen hat.

Entsprechend kann es die Putzfrau sein, die wie üblich alle Türen zuzieht, auch wenn dies die Kühlung des temporären Servers stört. Oder die Brüstung, die vor allen Fenstern durchläuft und so das Türschloss im Obergeschoss aushebelt. Oder…

Der Brief des Bundes berücksichtigt dies zu wenig

Er verallgemeinert Anforderungen und impliziert veraltete Sicherheitsmassnahmen. Oder bleibt unklar, was gewisse Forderungen jetzt eigentlich bedeuten.

Schluss­folge­rungen

Der Brief scheint als plötzliche Reaktion geschrieben worden zu sein und nicht in einer wohl überlegten Aktion geplant. Der Brief wirkt so, als ob kein Feedback von BIT oder NCSC eingeholt wurde.

Als Grund für den Brief bieten sich insbesondere drei Optionen an:

  1. Der Bund hat keine Ahnung, wie es um seine Dienstleister bestellt ist.
  2. Der Bund ist wirklich besorgt um die Qualität seiner Dienstleister und hat das erst jetzt bemerkt.
  3. Der Bund ist wirklich besorgt um die Qualität seiner Dienstleister und weiss das schon seit Jahren.

Alle drei Optionen sind nicht wirklich beruhigend. In allen drei Fällen muss die öffentliche Hand sich aber auf die Fahne schreiben, die externen Dienstleister enger kompetent zu begleiten.

Handlungs­freiheit erhalten

Einer der Sorgenpunkte des Bundes ist, laut Pressemitteilungs-PDF, die «Wartung und Weiterentwicklung dieser [von Xplain erstellten] essentiellen Softwarekomponenten sicherzustellen».

Egal, wie die aktuelle Geschichte ausgeht: Fälle, in denen ein Dienstleister Probleme hat oder man sich von einem Dienstleister trennen will, wird es immer wieder geben. Entsprechend sollte der Bund zukünftig auch besser darauf vorbereitet sein, einen solchen Schritt möglichst schmerzlos gehen zu können.

Dabei könnte er sich beispielsweise an einigen klassischen Werkzeuge zur Reduktion von Lock-In orientieren:

  1. Modularisierung bei den Projekten (einfach und eigenständig, Mut zur Lücke),
  2. Nutzung von offenen, standardisierten APIs, [Neu 2023-08-02, danke an Stephan Neuhaus]
  3. eine Two-Vendor-Strategie, auch wenn das im IT-Bereich nicht immer einfach ist und
  4. Verpflichtung der IT-Dienstleister, den im Rahmen des Projekts erstellten Quellcode als Open Source zu veröffentlichen (Public Money, Public Code). Diesen Schritt halte ich für den Vielversprechendsten.

Weiter­führende Infor­mationen

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Marcel Waldvogel
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