Es kursieren zurzeit schreckliche Bilder von Stein am Rhein und Umgebung mit riesigen Windrädern darauf. Die Praxis sieht anders aus.
An der Generalversammlung des Gewerbevereins wurden die Anwesenden zum Schauen eines mehrminütigen Films genötigt, der computergenerierte riesige Windräder in unserer idyllischen Umgebung zeigte.
Grund für diese Schreckensvision: Auf dem Chroobach soll ein Windpark mit vier Windrädern gebaut werden. Und einige «Staaner» und andere Personen wehren sich dagegen.
So weit, so gut, aber bitte nicht mit irreführenden Bildern.
Die in der Einleitung zum Video genannte Begründung betonte unter anderem, dass der ganze Aufwand, den wir in den Erhalt des schützenswerten Ortsbilds der Steiner Altstadt investieren würden, mit der Verschandelung durch diese Windräder zunichte gemacht werden würde.
Deshalb konzentriere ich mich in diesem Artikel auf Ansichten aus dem Steiner Blickwinkel. Durch Nachvollziehen meiner unten dokumentierten Schritte kann jede:r für jeden beliebigen Standort die Sichtbarkeit der Windräder nachvollziehen.
Das Windkraft-Video
Wer sich schon einmal mit manipuliertem Bildmaterial beschäftigt hatte, dem fiel rasch auf, dass
- alle Bilder von sehr weit oben und
- die Bilder nur ein sehr enges Blickfeld zeigten, also von sehr weit weg mit extremem Zoom aufgenommen worden waren.
Alles Perspektiven also, welche die wenigsten Bewohner:innen oder Besucher:innen zu sehen bekommen würden.
Das Video selbst scheint nicht öffentlich verfügbar zu sein; meine Anfragen diesbezüglich blieben bisher unbeantwortet. Es scheint aber auf diesen zwei Videos (1, 2) zu beruhen, die wiederum auf der Bildersammlung von «Gegenwind Chroobach» basieren.
Zur Vermeidung sollten alle unüblichen Darstellungen immer klar gekennzeichnet sein. Weil Transparenz und Fakten – ganz besonders in einer funktionierenden Demokratie – unverzichtbar sind.

Die Argumente der Gegner
In der Einleitung und durch die Bilder/Videos werden folgende Aussagen zumindest angedeutet, zum Teil auch explizit gemacht:
- Die bisher investierten Mittel und Massnahmen zum Schutz der Steiner Altstadt würden durch die Windräder zunichtegemacht.
- Die Windräder wären omnipräsent.
- Die Windräder wären riesig.
- «Dank des verwendeten Geländemodells sind alle Grössenverhältnisse 100% korrekt» (im Abspann der Videos)
Schauen wir uns das etwas genauer an.
Wie sähen wir es?
Gleich zu Beginn war klar, dass die geplanten Chroobach-Windräder aus der Umgebung der historischen Altstadt Stein am Rhein fast nur von Orten aus gesehen werden könnten, welche auch die Burg Hohenklingen sehen können. Also beispielsweise nicht aus der historischen Altstadt selbst.
Deshalb wählte ich einen zu Fuss rasch erreichbaren erhöhten Punkt in der Nähe der Altstadt. Meine Wahl fiel auf die Wiese vor der Kirche Burg.
Übrigens: Uf Burg, Hääldeli und Roseberg – die drei höchsten Punkte in Stein am Rhein Süd (aka «Vor der Brugg») – sind alle 417 bis 418 m.ü.M. hoch und im Umkreis von je gut 100 m voneinander. Die Wahl eines der anderen Punkte hätte das Resultat nicht signifikant verändert.

Bild: CC-BY 4.0 Marcel Waldvogel 2025
Bevor wir uns aber ein Bild von den Windrädern machen können, brauchen wir mehr Daten.
Datenpunkt 0: Die Kamera
Zum Einsatz kam die 50-Megapixel-Hauptkamera eines modernen Handys mit (horizontal) 82° Sichtfeld (horizontales menschliches Gesichtsfeld: 214°). Dies betrifft natürlich nur die Kamerabilder.
Datenpunkt 1: Standortdaten
Auf der Seite der Projektgemeinschaft Chroobach Windenergie finden wir die Koordinaten:

Datenpunkt 2: Windräder
Ebenfalls auf der Projektseite findet sich die Information, dass Windräder des Typs Enercon E-138 EP3 E3 aufgestellt werden sollen. Aufgrund des Bildes von Enercon und der auf der Projektseite bzw. bei Enercon genannten Masse habe ich folgendes Modell erstellt:
(SVG-Vektorgrafik-Download für eigene Experimente)
Datenpunkt 3: Geographie
Swisstopo bietet eine Ansicht, in der man seine eigenen Datenpunkte eintragen kann (und auch gleich die Höhen der Punkte zurückerhält). Ich habe die 4 Windräder (in der Grafik mit CHR1…4 bezeichnet) eingetragen. Laut der Karte ist die Bodenhöhe der vier Anlagen auf 660, 682, 644 bzw. 638 m.ü.M. (von links nach rechts).

Gesucht: Sichtbarkeit
Wie findet man nun heraus, was sichtbar ist? Für einen ersten Schritt habe ich mir das am höchsten stehende Windrad, CHR2 auf 682 m.ü.M. ausgesucht.
Freundlicherweise bietet Swisstopo eine Funktion zum Vermessen von Distanzen an. Diese habe ich gleich ausprobiert. Und – oh Wunder – es erschien ein Höhenprofil der Linie!
Bitte beachten: Um die Umgebung einordnen zu können, beginnt die Line etwas vor meinen Fotostandort und endet etwas nach dem Windrad CHR2.

Was sehen wir nun?
Zur besseren Übersicht gibt es dieses Höhenprofil auch annotiert. Neben dem eigentlichen Höhenprofil sind auch einige wichtige Punkte eingezeichnet. Die grünen Bereiche sind bewaldet; da die Baumhöhen sehr unterschiedlich sind, ist der dunkelgrüne Streifen 20 m hoch; der gesamte grüne Bereich (hellgrün+dunkelgrün) 40 m.
Links im Bild, am oberen Ende des Abhangs neben der Kirche Burg ist der Standort des Beobachters (und damit des Fotos) eingezeichnet. Die obere schräge weisse Linie zeigt (ab der Burg Hohenklingen) den Horizont an. Was hinter dem Hohenklingen unterhalb dieser weissen Linie ist, ist vom Standort aus nicht zu sehen, da es von Berg, Wald und Burg verdeckt wird.
Das hell eingefärbte schmale Dreieck zwischen dem Beobachter und dem Windrad zeigt an, wo der «Sehstrahl» durchgehen müsste, damit das Windrad gesehen werden könnte.
Wenn man also vom Burghügel aus das Windrad sehen möchte, müsste zuerst der Klingenberg ab etwa der Zwinglistrasse abgetragen werden. Dies wird im folgenden Bild durch die bräunliche Schattierung angezeigt. Erst nach dem Abtragen des Bergs würde man das Windrad sehen können. Und sein scheinbarer Rotordurchmesser wäre dann etwa so gross wie die benachbarten Häuser. Im Gegensatz zu diesen aber – bis auf die relativ schmalen Rotorblätter – grösstenteils durchsichtig.

Entwarnung
Es kann also für das Umfeld der Steiner Altstadt Entwarnung gegeben werden: Sowohl mit als auch ohne Windräder sieht der Ausblick gleich aus.
Dies würde sich auch nicht ändern, wenn wir zwei der weltweit höchsten Windräder (je 280 m hoch) aufeinander stapeln würden. Denn der Hohenklingen deckt aus diesem Blickwinkel alles vollständig ab, was auf dem Chroobach weniger als ca. 600 m hoch ist.

Bild: CC-BY 4.0 Marcel Waldvogel 2025
Andere Blickwinkel
Schauen wir uns die Windräder noch aus anderen Blickwinkeln an.
Altstadt
Wenn der Klingenberg nur bis zur Zwinglistrasse abgetragen würde, wären die Chroobach-Windräder aus der Altstadt immer noch vollständig – wenn auch knapp – hinter dem Horizont versteckt. Erst wenn bis hinunter zur Blaurockstrasse abgebaggert würde, wären sie vollständig sichtbar. (Natürlich müssten zusätzlich noch einige Altstadthäuser in Schutt und Asche gelegt werden.)
Kurz: Das Bild der historischen Altstadt wird durch die Windräder weder verschandelt noch verziert.
Hüttenberg
Vom Hüttenberg aus wären die Windräder allerdings zu sehen, wie wir am folgenden Höhenprofil erkennen können.
Genauere Baumhöhen
Da Hohenklingen und Spitzebni von hier aus relativ flach angeschnitten werden, ist die Höhe der Baumwipfel wichtiger. Zum Glück bietet Swisstopo auch die Möglichkeit, das sogenannte Vegetationshöhenmodell einzublenden.

An diesem ist zu erkennen, dass rund um die Burg Hohenklingen die Vegetation (hier: Bäume) 5–15 m hoch sind. Dieselbe Baumhöhe herrscht auf der Spitzebni vor. Allerdings finden sich am vorderen Ende (also Richtung Hüttenberg) ein Band aus 20–30 m hohen Bäumen sowie ein einzelnes Exemplar das, sogar über 30 m hoch steht.

Entsprechend dürfte mindestens die untere Hälfte des Windrads von Hohenklingen und Spitzebni abgedeckt sein.
Blick vom Hüttenberg
Hier ein Versuch, das anhand eines Bildes zu rekonstruieren. Im einen Video wird der Standort als «Auerbach» angegeben. Da der Auerbach so hoch oben nur schwer zugänglich bzw. bewaldet ist, vermute ich, dass das Bild vom Hüttenberg her aufgenommen wurde. Um das Windrad besser sichtbar zu machen, wurde es hier violett eingefärbt und mit einem Hinweispfeil versehen. Das normale helle Windrad wäre ganz untergegangen.

Bild in separatem Tab öffnen, um besser zoomen zu können.
Unterhalb des Hüttenbergs
Schon in der Strassenkurve direkt unterhalb des Hüttenbergs wäre das Windrad nicht mehr zu sehen, wie ebenfalls aus dem Höhenprofil (unteres Sichtbarkeitsdreieck) zu entnehmen ist.
Schon wenige Meter neben einem Standort, an dem die Windräder sichtbar sind, können sie schon nicht mehr sichtbar sein.

Analyse
Schauen wir uns die obigen Argumente nun nochmals an:
1. Steiner Altstadt
Die Steiner Altstadt wäre davon gar nicht betroffen. Auch nicht ihre nähere Umgebung.
2. Omnipräsenz
Es gibt auch viele andere Blickwinkel, von dem aus die Windräder nicht sichtbar wären. Dazu zählt z.B. das ganze Eschezerriet (weil die Windräder hinter dem Hohenklingen verdeckt sind) oder selbstverständlich alle Blicke, die nicht Richtung Chroobach gehen.
3. Riesig
Die Windräder wirken auf «normalen» Fotos und von blossem Auge gar nicht so riesig wie auf den Fotos der Gegner, die mit starken Teleobjektiven und Ausschnittsvergrösserung operieren.
In den obigen Beispielen sind die Windräder rund 5–7 km vom Beobachter entfernt. Ein vollständig sichtbares Windrad ist 200 m hoch. Das Verhältnis zwischen 6 km Abstand und 200 Höhe beträgt also 1:30. Zum Vergleich: Wenn ich meinen Daumen weit von mir halte, ist er ca. 60 cm von meinem Auge weg und etwas über 2 cm breit, etwas mehr als 1:30 also.
Auch ein vollständig sichtbares Windrad dürfte aus vielen Perspektiven weniger hoch sein als der eigene – von einem weg gehaltene – Daumen breit ist.
Viele andere Objekte bedecken täglich mehr von unserem Blickfeld. Auch auf Ausflügen.
4. Grössenverhältnisse
Da die Gegner nicht erwähnen, welche Grössenverhältnisse sie genau meinen, ist die Aussage nicht wirklich falsch.
Die verwendeten Beobachterstandorte bzw. Perspektiven suggerieren aber unrealistische Grössenverhältnisse.
Fazit
Es gibt Gründe für und wider Windräder. Und es gibt definitiv Standorte, welche diese Windräder grösser sehen. Aber es
Bilder mit riesigen Windrädern über der Steiner Altstadt entbehren aber jeglicher Grundlage. Solche Bilder zu zeigen sind keine Argumente, sondern der Versuch von Desinformation. Auch die im Original hellen Windräder in den Bildern ohne weiteren Kommentar schwarz anzumalen zeugt von Schwarzmalerei statt Faktentreue. Dann lieber in pink; denn dann ist allen klar, dass dies symbolhaft geschieht.
Wer glaubt, dass er oder sie die Windräder von einem seiner Lieblingsstandorte her sieht, weiss jetzt, wie er das mit Swisstopo selbst machen kann, auch unter Verwendung meiner bereits eingezeichneten Standorte der Windräder und anderer Sehenswürdigkeiten.
Anhang: Ungenauigkeiten und Reproduzierbarkeit
Es gibt einige Punkte, die nicht oder nur ungenau berücksichtigt wurde. Keine von diesen würde aber die obige Aussage substanziell ändern. Sie sind der Vollständigkeit halber trotzdem aufgelistet, da einige davon für grössere Distanzen relevant würden.
Augenhöhe
Ich habe den Beobachtungspunkt leicht über dem Boden eingezeichnet. Für detaillierte Berechnungen müsste man da genauer arbeiten.
Erdkrümmung
Hier am Bodensee hat wohl schon jede:r die Auswirkungen der Erdkrümmung selbst erlebt. Bei einem Abstand von 6 km macht sie rund 3 m aus.
Atmosphäre
Die Atmosphäre hat eine Strahlenbrechung, mit der Licht abgelenkt wird, was man zum Teil beim Sonnenuntergang an der Verformung der Sonne erkennen kann.
Ein zweiter Aspekt ist die Luftfeuchtigkeit, die Sichtweite einschränkt, weshalb wir beispielsweise nicht jeden Tag die Alpen klar sehen können, auch wenn wir genügend hoch stehen.
Swisstopo-Links
Die Swisstopo-Links auf Karten mit Annotationen (Standorte Windräder, Linie für Höhenprofil, …) sind jeweils nur ein Jahr lang gültig. Deshalb hat es von den relevanten Informationen zusätzlich Screenshots.
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